LG Frankfurt am Main weist Eilanträge von Hermès zurück
LG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 19.09.2023 – 2-06 O 532/23 und 2-06 O 533/23
Im Rechtsstreit zwischen Hermès, Herstellerin einer markenrechtlich geschützten und weltweit bekannten Luxus-Handtasche und einem Berliner Modelabel Namilia ging es um Darbietungen des Modelabels im Rahmen ihrer „S/S24-In Loving Memory of My Sugar Daddy“-Kollektion auf der Berliner Fashionweek. Das Modelabel stellt u. a. Kleider, Röcke, Tops und Taschen her, die charakteristische Merkmale der besagten Luxus-Handtasche aufweisen und führte diese Modekreationen auf einer Fashionshow vor und bewarb die Darbietungen im Internet und auf sozialen Netzwerken.
Die Herstellerin der Luxus-Tasche sah darin die Verletzung ihrer Unionmarke und klagte im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung. Das Modelabel hat sich hingegen auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen.
Das LG Frankfurt am Main folgte der Argumentation des Modelabels. Nach Ansicht des Landgerichts Frankfurt am Main überwiegt die Kunstfreiheit des Modelabels im konkreten Fall das Eigentumsrecht der Klägerin an der Unionsmarke mit folgender Begründung:
„Die beanstandeten “Zeichen” erweisen sich als durch Art. 5 GG bzw. Art. 13 GR-Charta geschützte Kunstwerke. Denn die Taschen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern im Gesamtzusammenhang, in dem sie eingebettet sind. Die Beschreibungstexte zu den angegriffenen Bildern (sowohl auf Instagram als auch auf der Homepage) verweisen eindeutig auf die Fashionshow. Man erkennt bei den Bildern teilweise auch, dass es sich um solche handelt, die auf einem Laufsteg aufgenommen wurde (…)
Vorliegend ist zu beachten, dass die Antragsgegnerin eine Inszenierung unter dem Thema “In loving memory of my sugar daddy” darbot. Thematisch ging es um weibliche Klischees und die Akzeptanz von Vorurteilen als eine Form von Feminismus, wie aus der Eigenbeschreibung deutlich wird (vgl. den Text “SS24 – IN LOVING MEMORY OF MY SUGAR DADDY” im Antrag). Frauen, die von Männern objektiviert werden und als gesellschaftliche “Accessoires” und “Trophy Wives” gesehen werden, emanzipieren sich in dem sie sich genau diese Rolle zu eigen machen und Männer wiederum als “menschliche Bank” (“human bank account”, vgl. ebd.) für ihre Zwecke nutzen. In dieser überspitzen gesellschaftlichen Darstellung tragen die Frauen Taschen, die an XY Bags erinnern, nicht nur als Taschen, sondern auch als Tops, Kleider und Röcke in einer aufreizenden und lasziven Art, an der Grenze zu Kitsch und Geschmacklosigkeit.
Dieser Eindruck bewusst noch durch verschiedene Aufdrucke verstärkt, z.B. der Slogan “cunting season” auf einem kurzen Lederrock. Hierbei ist das Spiel zwischen primitiver Direktheit auf der einen Seite und ultimativen Luxusgütern auf der anderen Seite essenzieller Bestandteil der Darbietung. Die Produkte der Antragstellerin dienen gerade als Statussymbol und verkörperter Luxus. Deren Entfremdung als Kleidungsstücke durch Übernahme einiger prägender Elemente, wie beispielsweise die charakteristische Schnalle einer XY Bag, ist ein tragendes Element der Darbietung.
Die Kunstfreiheit gilt indes nicht schrankenlos; sie findet ihre Begrenzung in anderen kollidierenden Grundrechten, etwa die Eigentumsgarantie, die auch Markenrechte der Antragstellerin erfasst.
Nach der vorzunehmenden Abwägung tritt hier die Eigentumsgarantie zurück. Denn die Antragsgegnerin verkauft die Kleidungsstücke nicht. Soweit ein kommerzielles Ziel verfolgt wird, geht dieses nicht über die Selbstdarbietung der Antragsgegnerin als Modelabel hinaus. Das Vorbringen der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe zumindest in der Vergangenheit die Produkte, die sie auf Runways vorgeführt habe, auch tatsächlich zum Verkauf angeboten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Mit den Glaubhaftmachungsmitteln des einstweiligen Verfügungsverfahrens lässt sich angesichts der eidesstattlichen Versicherung einerseits und der Praxis in der Vergangenheit andererseits nicht endgültig klären, ob die Produkte verkauft werden sollen oder nicht. Jedenfalls ist die Antragstellerin nicht schutzlos, weil sie – sollte die Antragsgegnerin die Produkte gleichwohl verkaufen – dann ggf. erneut aus ihren Markenrechten vorgehen kann.
Auch wird die Marke der Antragstellerin nicht verunglimpft oder herabgesetzt. Vielmehr dient sie als der Bezugspunkt von Luxusgütern, den die Gesellschaft anstrebt. Hierbei stellt die Anlehnung an die XY Bag nur einen Teil der gesamten Inszenierung dar, auch andere Elemente und (Mode-)Kreationen setzt die Antragsgegnerin ein. Sie interpretiert die an die Marke der Antragstellerin angelehnten Elemente neu in eigener künstlerischer Leistung und begibt sich gerade nicht in die Sogwirkung der Marke der Antragstellerin. Diese dient allein als Mittel zum Zweck.“